Die Steinzeit in unserem Körper
In dem lesenswerten Buch „Die Steinzeit steckt uns in den Knochen“ stellen die Autoren D. Ganten, T. Spahl und T. Deichmann ihre Thesen zur Evolutionsmedizin dar. Wichtige Kernaussagen sind,
dass der Mensch der Neuzeit nach wie vor die Gene des Steinzeitmenschen von vor 100.000 Jahre hat, sich aber durch die vielen zivilisatorischen Segnungen völlig unnatürlich seinem Körper gegenüber verhält. Biologisch ist der Mensch letztlich seit der Steinzeit unverändert geblieben, während sich andererseits sein Lebensstil massiv verändert hat. Die große Spanne zwischen biologischer Ausstattung und zivilisatorischem Verhalten erachtet die Evolutionsmedizin als Ursache für die meisten der Zivilisationskrankheiten. Folgende „Nebenwirkungen“ der Zivilisation belasten die Gesundheit.
Unterforderung durch fehlende Bewegung
Unsere Vorfahren in der Steinzeit haben sich durchschnittlich 20 km pro Tag bewegt, um Nahrung zu sammeln, Tiere zu jagen und um das Existenzminimum zum Weiterleben zu gewährleisten. Da diese Gene nach wie vor in uns stecken, sind wir genetisch immer noch Dauerläufer. Doch was ist aus uns geworden? Durch Fortbewegung mit dem Auto und Aufzug sowie Benutzen von Handy und Fernbedienung bewegen wir uns im Schnitt gerade einmal 440 m pro Tag. Durch den exzessiven Bewegungsmangel ist unser Körper chronisch unterfordert. Es kommt einerseits zum Muskel- und Knochenabbau, zu Fehlhaltungen, schmerzhaften Gelenken und Bandscheibenvorfällen. Andererseits lässt die Bewegungsarmut den Blutzucker durch die fehlende Verbrennung in die Höhe schnellen, was wiederum die Insulinausschüttung ankurbelt. Chronisch hohe Insulinwerte führen regelhaft zur zellulären Insulinresistenz und damit in einem Teufelskreis zum Diabetes.
Eine Unterforderung ganz anderer Art betrifft das Immunsystem durch hohe Hygienestandards. Mangels fehlender Abwehraufgaben gegen externe Erreger richtet sich das unterforderte Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe, wodurch Allergien und Autoimmunerkrankungen entstehen können.
Überforderung in der schnelllebigen Zeit
Der moderne Zeitgeist ist gekennzeichnet von einer betriebsamer Hektik, ständigen Neuerungen, Multitasking und permanenter Informationsflut über Fernsehen, Internet und Printmedien. Die psychische Belastung nimmt stetig zu, nicht nur im Berufsleben, sondern auch zuhause und gerade auch bei Kindern. Ruhephasen werden als unproduktiv und negativ wahrgenommen. Hinzu kommt die zunehmende, an den vielen Single-Haushalten erkennbare Individualisierung der Gesellschaft, die der Aufarbeitung der stetigen Überforderung nicht gerade förderlich ist. Ganz anders sah die Vergangenheit der Menschheit aus, in der die oben genannten Stressoren gänzlich fehlten. Auf Zeiten der Anstrengung folgten jahrzeitlich bedingten Zeiten der Entspannung, z.B. wurden die Aktivitäten einer Jagd abgelöst von weniger anstrengenden Konsumphasen. Dieser biphasische Rhythmus ist mittlerweile komplett aufgelöst zu Ungunsten einer Daueranspannung. Dank effizienter Marketingmethoden geht dieser auch mit einem Dauerkonsum mit Anhäufung schier unbegrenzter materieller Güter einher.
Die gesundheitlichen Folgen
Als Folgen des unnatürlichen Verhaltens stellen sich die sog. „Zivilisationskrankheiten“ ein, die den Bluthochdruck, die Arteriosklerose mit Herzinfarkt und Schlaganfall, die Fettleibigkeit, der Diabetes mellitus, Depressionen, Autoimmunerkrankungen, die Fehlsichtigkeit und viele andere mehr umfassen. Diese neuartigen Krankheiten müssen als unzureichende Anpassung der menschlichen Biologie an den zivilisatorischen Lebensstil bewertet werden. Je nach Sichtweise liegt damit eine biologische Unterregulation des Körpers oder ein unnatürliches Verhalten des zivilisierten Menschen vor.
Die Konsequenzen sind eindeutig: Unsere Gene und unsere Biologie können wir nicht ändern, sehr wohl jedoch das Verhalten unserem Körper gegenüber.